Yoga, progressive Muskelentspannung und Atemübungen bei Long Covid. Ein Erfahrungsbericht.
Herbst 2021. Martin, ein Bekannter von mir, erkrankte an Corona. Covid-19. Leider ein schwerer Corona Verlauf an der zu diesem Zeitpunkt grassierende Delta Variante. Martin war zweimal geimpft. Doch sein zweiter Stich liegt bereits etwas länger zurück. Nach mehr als vier Wochen diagnostizierten die Ärzte ein „Long-COVID“ Syndrom.
Besuch bei einem Lungenfacharzt, der auf die Behandlung von Covid-19 und Long Covid spezialisiert sei, da sein Sauerstoffsättigungswert stark schwankt und teilweise deutlich unter 90% liegt. Zudem leidet er an Luftnot, Brain Fog und Schwindel sowie chronischer Müdigkeit (dieses neuere Krankheitsbild wird auch als „Fatigue“ bezeichnet). Sein Lungenfacharzt empfiehlt ihm unter anderem Atemübungen, welche seine Lungenkapazitäten verbessern würden. Er solle sich an einen Atempädagogen oder einen mit Atemübungen befassten guten Yogalehrer wenden.
Martin war verzweifelt. Er fragte mich nach seiner Meinung zu den Atemübungen in Bezug auf seine Long-Covid Situation und ob ich ihm bei seiner Situation helfen könne. Spontan konnte ich ihm keine Antwort geben, in der Yogalehrerausbildung gab es noch keine Lehrinhalte oder Erfahrungen bei Corona. Ich vermutete, dass yogische Atemtechniken eine große Stütze bei der Bewältigung der Long Covid Probleme sein könnten und versprach ihm, mich zu erkundigen. Neugierig googelte ich Fachartikel darüber. Tatsächlich gibt es sehr viele verschiedene wissenschaftlich belegte Studien zur guten Wirksamkeit von Atemübungen. Viele Atemübungen werden sowohl zur rascheren Genesung nach einer Covid-19 Erkrankung angewendet, andere Atemübungen helfen bei Long-Covid für eine schnellere Regeneration. Einige der empfohlenen Atemübungen sind auch yogische Atemtechniken oder wurden leicht verändert. Die München-Klinik setzt neben Atemübungen auch den Halbmond (den wir aus Yoga kennen) zur Dehnung des Lungengewebes ein. (Link zur Atemtherapieseite der München-Klink)
Der Berufsverband der Atempädagogen Österreichs empfiehlt einfache Übungen, die allen Menschen zugänglich sein. (Link zum Artikel von Atemaustria.at)
Long Covid Nebenwirkungen
Martin und ich vereinbarten eine unentgeltliche Schnupperstunde Anfang Dezember 2021, nachdem Martin von seinem Lungenfacharzt „grünes Licht“ für Yoga erhalten hat. Wir wählten eine späteren Vormittagsstunde, da Martin zu diesem Zeitpunkt meist nicht so müde ist. Vor beginn der Yogastunde erzählte mir Martin über sein aktuelles Empfinden. Schlimm sei die bleiende Müdigkeit, die Kurzatmigkeit beim Hochsteigen der Stiegen in seinem Wohnhaus. Trotz der großen Müdigkeit fällt ihm das Durchschlafen schwer, da er auch unter Angststörungen leidet. Oftmals spürt er Herzrasen, der Blutdruck fährt Achterbahn. Tinnitus, Kopfschmerzen und Schwindel seien weitere Symptome. Die Sauerstoffsättigung in seinem Blut schwankt sehr stark. Er ist sehr nervös, als er mir das alles erzählt. Kann Martin mit Atemübungen und Yoga geholfen werden?
Unser Long Covid Atem- und Yogaprogramm
Martin erklärt mir gleich zu Beginn der Long-Covid-Yogastunde, kein Yoga praktizieren zu wollen. Er fühle sich zu schwach. Mir fällt gleich die flache Brustatmung auf. Atemübungen only, die ich ihm zeigen solle, damit er diese zu Hause nachmachen kann. Vor den Atemübungen probieren wir die „progressive Muskelentspannung nach Jacobson„. Das ist eine leicht zu lernende wissenschaftlich fundierte Entspannungstechnik nach dem Arzt Edmund Jacobson und sorgt wunderbar für innere Ruhe. Das braucht Martin unbedingt. Die Mehrheit der Österreicher auch.
Nach der Muskelentspannung zeigte ich meinem Bekannten noch einige Tricks, wie er von seiner flachen Brustatmung abkommt und die wichtigen Bauchatmungstechniken erlernt.
Wir beginnen mit den Atemübungen. Sanft und achtsam. Kleine Schritte nur.
Ujjayi Atmung: Wird in der Yogalehre als „siegreiche Atmung“ genannt. Wirkt gut bei Müdigkeit und Lungenkrankheiten. Stärkt die Immunabwehr.
Martin lernte die Ujjayi Atmung sofort, sie ist auch leicht zu verstehen. Man stellt sich einfach vor, in der Ausatmung einen Spiegel anzuhauchen. Mit geschlossenen Mund. Lange ausatmen.
Diese Atemübung kann man auch zu Hause bequem üben.
Kapalabathi (Stoßatmung): Eine der wichtigsten Atemübungen in Yoga, gehört auch zu den Reinigungstechniken. Wird auch als Schnellatmung, Stoßatmung oder Feueratmung (in Kundalini Yoga) bezeichnet. Diese Atemübung ist aktivierend, regt den Stoffwechsel und auch den Geist an – dadurch ideal bei Müdigkeit und Niedergeschlagenheit, die bei Long-Covid typisch ist.
Kapalabathi stärkt auch das Zwerchfell, unser wichtigster Atemmuskel, die Lunge wird gereinigt.
Martin hatte anfangs doch Probleme die Atemtechnik am Anfang zu lernen und zu praktizieren. Wir praktizierten nur eine Runde mit ca. 20 bis 30 Atemstößen. In Hatha-Yoga praktizieren wir normalerweise je nach Schwierigkeitsgrad drei Runden mit 30 bis 120 Wiederholungen.
Kapalabathi sollte man nicht alleine ohne Aufsicht durch einen erfahrenen Yogalehrer erlernen.
Wechselatmung: In Sanskrit werden die Wechselatmungstechniken als „Nadi Shodhana Pranayama“ oder „Analoba Viloba“ bezeichnet. Nadi Shodhana ist die Atemtechnik, die wunderbar das Nervensystem entspannt und Ängste löst und gilt unter Yogis als die wichtigste und bekannteste Atemübung. Vor dem Schlafen gehend angewendet, sorgt die Wechselatmung in einer speziellen Ausführung für einen guten Schlaf. Unterstützend bei Long Covid ist die bei dieser Atemtechnik vertiefte Atmung, die das Blut mit Sauerstoff anreichert.
Weiters erhöht die Wechselatmung die Lungenkapazität, was besonders bei Long Covid sehr hilfreich ist, das Herz-Kreislauf System wird gekräftigt.
Martin und ich begannen die Wechselatmung in einer ganz einfachen Variante: 3/0/6, d.h. 3 Sekunden einatmen und ohne Luft anhalten 6 Sekunden ausatmen.
Wir probierten dann auch die Variante mit Luft anhalten und die Standardversion: 4/16/8 (4 Sekunden einatmen, 16 Sekunden Luft anhalten und 8 Sekunden ausatmen), das war dann doch zu viel.
Die Wechselatmung kann man nach Einweisung durch einen erfahrenen Yogalehrer auch alleine durchführen.
Martin, sein Long Covid und Yoga
Nach der Wechselatmung stand mal Entspannung am Programm. Nachspüren. Martin war fit für einige leichte Yoga Asanas. Wir konzentrierten uns auf Asanas für die Faszien, da gerade die Faszien bei Untätigkeit sehr schnell verkleben. Nach einer Viertelstunde Praxis noch einen von mir angeleiteteten Body Scan für die einzelnen Körperbereiche. Martin hatte starke Verspannungen an Schulter, unterer Rücken und rechtes Bein. Auf diese Körperbereiche nahm ich im Body Scan besondere Rücksicht
Wie ging es Martin nach der Yogastunde?
Gespannt wartete ich auf das Feedback von Martin und war positiv überrascht. Er fühlte sich deutlich besser, insbesondere die Atemübungen und die progressive Muskelentspannung hatten einen großen Mehrwert für ihn. Einige Atemtechniken wollte Martin verfeinern, er kam zwei Tage später zum Erlernen von Kapalabathi und Verbessern von Nadi Shodana vorbei. Ich zeigte ihm eine weitere Atemübung, die Boxatmung – diese ist ganz einfach: 4 Sekunden Einatmen, 4 Sekunden Luft anhalten – 4 Sekunden Ausatmen und 4 Sekunden Luftanhalten. Einige Minuten durchführen. Die Boxatmung ist auch Bestandteil von Fitnessuhren, wie beispielsweise der Garmin 4.
Zu Weihnachten erhielt ich von Martin eine Karte mit der freudigen Nachricht, dass er jeden Tag Atemübungen durchführt und es ihm schon deutlich besser geht. Viele Long Covid Symptome sind bereits deutlich besser. Er möchte dann nach den Feiertagen im Januar richtig Yoga machen und so manche Atemübungen wie die Stoßatmung nochmals angeleitet haben. Ich berichte dann wieder…